Gedanken zum Leben oder wie Steine durch 8samkeit ins Rollen kommen

 

Letzten Sonntag spazierte ich entlang der Töss. Das Flussbett war ziemlich ausgetrocknet, das Wasser floss in Rinnsalen durch das steinige Flussbett. Das Wasser und die Steine zogen mich magisch an und ich wanderte im Flussbett weiter. Mein Blick hing wie gebannt an den vielen verschiedenfarbigen Steinen. Ich liebe Steine, ihre Formen, ihre Farben, die Adern die sie durchziehen. Ein kleiner, runder, flacher Stein, gelblich-ockerfarben mit weissen Adern durchzogen erregte meine Aufmerksamkeit besonders. Ich nahm ihn in meine Hand, fühlte die kühle, glatte Oberfläche, die Vertiefungen der Adern. Meine Finger folgten den Kerben. Ich drehte den Stein in meiner Hand und meine Gedanken, Gefühle beruhigten sich. 

 

Ein paar Schritte weiter fiel mir ein faustgrosser Stein derselben Farbe auf. Ich las ihn auf und legte beide Steine, den kleinen und den grossen, auf eine rote Holzbank. Beim Betrachten kamen mir verschiedene Gedanken.

 

Der kleine Stein war vor langer Zeit einmal so gross wie der faustgrosse Stein, beide waren vor noch längerer Zeit noch viel grösser, vielleicht Teil eines Berges. Das Wasser schliff den Stein, es bewegte den Stein im Flussbett, es rieb ihn an andere Steine. Der Stein wurde immer kleiner, seine rauhe, kantige Oberfläche wurde glatt und seidig. Irgendwann ist er so klein wie ein Sandkorn. Und dann? 

 

Ich bemerkte, dass je nach Betrachtungsweise, verschiedene Geschichten entstanden: 

 

Ich bin der Stein, ich lasse mich vom Wasser schleifen, ich lasse meine Ecken und Kanten schleifen von den Menschen die mich begleiten, vom Erlebten, Erfahrenen und Gelernten im Fluss des Lebens. Ich werde immer kleiner, meine Kanten und Ecken werden rund, glatt und erhalten eine seidige Oberfläche. Ich werde hantlich, angenehm und leicht zu tragen in einer Hand. Ich verleihe meinem Besitzer Macht, mich in seiner Hand einzuschliessen und mit mir zu machen was er will. Ich zeige ihm nicht was ich bin, was ich erlebt, gelernt und erfahren habe auf meiner Reise. Ich bin klein und unscheinbar, war ich doch einmal gross und kantig, kaum zu bewegen geschweige denn zu tragen. Ich trage nicht den Wanderer sondern er trägt mich in seiner Hand. Irgendwann bin ich so klein wie ein Sandkorn, man erkennt mich nicht mehr als Stein. Das macht mich traurig. Was ist aus mir geworden, wo bin ich bloss geblieben? Werde ich noch gesehen?

 

Ich bin der Stein, ich werde vom Wasser geschliffen, von den Menschen die mich begleiten, vom Erlebten, Erfahrenen und Gelernten im Fluss des Lebens. Ich werde immer kleiner, meine Kanten und Ecken werden rund, glatt und erhalten eine seidige Oberfläche. Ich werde hantlich, angenehm und leicht zu tragen in einer Hand, verleihe dem Besitzer der Hand Beruhigung. Ich werde älter, meine Erfahrungen kann ich weitergeben, meine innere Ruhe und das Gelernte. Davon profitiert die jüngere Generation. Ich trage mit meiner Ruhe und Gelassenheit zur Entschleunigung der heutigen Welt bei, vermittle Gelassenheit, denn ich bin immer noch hier, ein Bestandteil der Umwelt, selbst wenn ich auf meiner Reise mit dem Fluss meine Ecken, Kanten und selbst an Masse verloren habe. Ich fülle die Lücken zwischen den Grossen und trage den Wanderer im Flussbett mit. Irgendwann bin ich kein Stein mehr, nur noch ein Sandkorn. Und dann? Selbst wenn ich als Stein gestorben bin, bin ich immer noch ein Bestandteil des Ganzen. Ein Teil des Universums, vielleicht werde ich wieder einmal ein Stein? Doch zumindest verschwinde ich nicht von dieser Erde. 

 

Je nach Ausgangspunkt und Blickwinkel ist die selbe Geschichte eine ganz andere. Die eine sehr traurig, die andere sehr beruhigend und positiv. Wir haben die Wahl unseren Blickwinkel, unseren Ausgangspunkt zu wählen, unsere Geschichte selbst zu bestimmen. Manchmal landet man in der ersten Geschichte. Wer kennt das nicht, dass er sich so klein fühlt wie ein Sandkorn. Doch die Kunst des Lebens ist es, immer wieder die zweite Geschichte zu sehen. Der Zyklus findet innerhalb unseres Lebens immer wieder statt, im kleinen, vom grossen zum kleinen Stein und wieder zum grossen zu werden. Der Zyklus findet im ganzen jetzigen, bewussten Leben einmal statt, doch was sind wir danach? Weiterhin ein Teil des Ganzen. In welcher Form auch immer. Und wie in anderen Kreisläufen, die wir kennen und erklären können, gehen wir mit dem Ende unseres Lebens in einen Kreislauf über den wir nicht kennen. Aber wir werden nicht einfach verschwinden. Der Kreislauf beginnt von vorn. Wie auch immer. Das beruhigt mich und ich möchte meine Gedanken weitergeben. 

 

Ursula Platzgummer

 

3746 Views
Kommentare
()
Einen neuen Kommentar hinzufügenEine neue Antwort hinzufügen
Ich stimme zu, dass meine Angaben gespeichert und verarbeitet werden dürfen gemäß der Datenschutzerklärung.*
Abbrechen
Antwort abschicken
Kommentar abschicken
Weitere laden
Mal-Sinn-Oase/ Begleitetes Malen/Personenorientierte Maltherapie PM/Lösungsorientierte Maltherapie/LOM/Malatelier/Ausdrucksmalen/Malraum/Malbegleitung/Coaching/ Winterthur, Ursula Platzgummer, 0